Band 040: Bombe an Bord

Band 040: Bombe an Bord
Art:
Verlag:
Erscheinungstermin:
Preise bei Erscheinen:
ISBN:
Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15039-9
Verwandte TKKG-Produkte
Zum Hörspiel:
TV-Serie:
TV-Club:
TV-Club:

Leseprobe

llustration von Seite 41.
llustration von Seite 41.

In der dritten Etage beugte Tim sich übers Geländer. An der Rolltreppe vorbei sah er hinunter in die Abteilung Haushaltswaren des Kaufhauses Wuhlwörs. Was seine Glotzer aufnahmen, brachte seinen Atem fast zum Stillstand.
Gibt's das? Diese Dreistigkeit? Hat der einen Dachschaden oder unheilbare Kleptomanie (triebhaftes Stehlen)?
Hinter Tim, vor einem personenhohen Spiegel, sagte Gaby: „Also, ich finde, die steht mir nicht."
„Steht dir ausgezeichnet", sagte Karl mit Überzeugungskraft.
Klößchen stieß breiige Laute aus, die niemand verstand. Er hatte den Mund voller Schokolade - zu voll. Immerhin tönten die Laute bewundernd.
Tim, früher Tarzan genannt, drehte sich nicht um, krallte vielmehr beide Hände ins Geländer und beugte sich noch weiter vor. Ein weniger sportlicher Typ wäre glatt abgestürzt.
Eben schob da drunten ein Ladendieb eine riesige Bratpfanne unter seinen popfarbenen Sommerblouson.
Es war ein großer, dünner Kerl - wenig über dreißig. Aus der Vogelperspektive bot er einen unschönen Kurzhaarschnitt dar - ohne Koteletten.
„Heh, Herr Carsten", sagte Gaby spitz, „interessiert es dich auch ein bißchen, wie die Badekappe mich kleidet?"
„Riesig", erwiderte Tim, ohne seine Haltung zu verändern. „Aber im Moment gibt's hier Wichtigeres. Da unten feiert ein Ladendieb Klau-Orgien. Ich glaube, der will Herrn Wuhlwörs ruinieren. Jetzt... jetzt... steckt er ein Waffeleisen unter die Jacke. Außerdem hat er schon: Tee-Ei, Rohkostreibe, Bratpfanne, Wetzstein und Butterdose."
„Ist doch völlig klar", lachte Karl: „Der baut seinen Haushalt auf. Man fragt sich nur, wie der vorgeht, wenn er ein Schlafzimmer braucht."
Jetzt entschwand der Dieb aus Tims Blickfeld. Unten herrschte Gedränge. Aber niemand sonst merkte was. Kein Hausdetektiv war zur Stelle, und die automatischen Überwachungskameras hatten offenbar getrübte Objektive.
„Er schwirrt ab." Tim wirbelte herum. „Den kasche ich mir."
„Ihm nach!" brachte Klößchen mit halbleerem Mund hervor.
„Aber wir schreiten erst ein", warnte Tim, „wenn er an der Kasse vorbei ist. Sonst redet er sich raus."
Gaby zerrte eine lilafarbene Badekappe von ihren goldblonden Haaren. Sie flog auf den Wühltisch, wo noch ein paar hundert andere lagen. Dann stürmte die TKKG-Bande zur Rolltreppe abwärts.
Die zweite Wuhlwörs-Etage war wie ein Supermarkt aufgebaut. Wer den Einkaufsbereich Richtung Treppe oder Rolltreppe verließ, mußte - kanalisiert durch Ladenstraßen - zur Kasse. Es gab deren vier, aber nur drei waren besetzt. Und die Kassiererinnen hatten alle Hände voll zu tun, denn nicht nur die HAUSHALTS WAREN befanden sich in diesem Bereich. Die Abteilungen SÜSSWAREN und TOPFPFLANZEN gehörten dazu.
Tim sprang die abwärtsfahrende Rolltreppe hinunter, denn gerade in diesem Augenblick bot sich freie Bahn.
Nach seiner Berechnung mußte der Dieb an Kasse 3 vorbei. Richtig! Dort kam er. Fünf Kunden waren vor ihm: alles ehrliche Leute, die ihren Einkaufswagen schoben.
Auch der Dieb schob einen Einkaufswagen. Aber der war leer. Nein, nicht leer. Tim reckte den Hals. Tatsächlich - ein Klarsichtbeutel mit Wäscheklammern lag drin. Daneben stand ein Mini-Kaktus. Das war alles.
Als Tarnung reicht das, dachte Tim, aber nicht, um uns zu täuschen.
Die Kassiererin an Kasse 3 war blond, schätzungsweise Ende Zwanzig und hatte ein unfrohes Mausgesicht. Sie tippte die Beträge ein. In nörgeligem Ton teilte sie die Endsumme mit.
Ein altes Mütterchen hatte ein großes Portemonnaie voller Kleingeld und zählte 42,80DM in Münzen ab. Das dauerte lange, und Mausgesicht blickte mehrmals himmelwärts.
„Benehmt euch unauffällig!" zischelte Tim seinen Freunden zu.
Das galt besonders Klößchen.

Illustration von Seite 108.
Illustration von Seite 108.

Grimmig und direkt starrte er dem Dieb entgegen, neben den Hosentaschen die Fäuste geballt.
Karl dümpelte auf einem Bein wie ein Boot auf bewegtem Wasser und schien sich für nichts zu interessieren.
Gaby lehnte sich an Tims Schulter.
„Lila steht mir nicht", seufzte sie.
Er schlang einen Arm um sie, war aber in Gedanken nicht mit Zärtlichkeit beschäftigt, sondern mit dem Dieb.
„Au!" meinte Gaby. „Nimmst du mich in den Schwitzkasten? Oder was ist?"
"Entschuldige!"
Er lockerte seinen Eisenarm und schielte zur Kasse.
Unfaßlich! Offenbar trug der Dieb eine SpezialJacke. Mit festem Bund unten und reichlichem Taschenangebot innen.
Prall gefüllt war der Klau-Blouson. Bei jeder Bewegung schepperte es metallisch und gläsern. Den Dieb störte das nicht. Ein Grinsen klebte auf seinem Hohlwangen-Gesicht. Er starrte vor sich hin. Einmal rückte er an der linken, inneren Hüfttasche, wo ihn etwas zu zwicken schien. Vielleicht versteckte er dort einen großen Kaktus mit dolchspitzen Stacheln.
Noch eine Kundin war vor ihm, eine junge Frau. Sie hatte einen Schnellkochtopf gekauft, und jetzt bezahlte sie mit einem Scheck.
Nun kam der Dieb an die Reihe. Er legte die Klarsichttüte auf den Kassentisch. Den Mini-Kaktus hielt er zwischen den Fingern wie ein Softeis, an dem er gleich lecken wollte.
„Zehn Mark dreißig", sagte Mausgesicht.
Mit der freien Hand fischte er das Geld aus der Hosentasche.
Er erhielt eine Tüte, schob den Einkaufswagen in die parkende Ansammlung der anderen und bewegte sich - rundum schwerbepackt - zur Treppe.
„Heh, Sie!" Tims Hand schloß sich um einen ziemlich dünnen Oberarm. „Sie sind wohl ein Vergeßlichkeits-Künstler, was?"
„Häh?" Blaue Unschuldsaugen sahen ihn an.
„Soll ich ihn vors Schienbein treten?" erbot sich Klößchen. „Dann wird er geständig, der Schwerverbrecher."
„Noch keine Gewalt!" stoppte Tim seinen Freund. „Und Sie! Was heißt häh? Sie haben was vergessen! Eine Menge haben Sie vergessen! Eine Menge, die Sie noch bezahlen müssen. Unter Ihrer Jacke schleppen Sie das halbe Kaufhaus raus, Sie Ladendieb."
Einige Kunden in der Nähe waren stehengeblieben und gafften. Mausgesicht hatte sich umgewandt, weitete die Augen und wirkte jetzt wie eine erschreckte Waldmaus.
„Naja", sagte der Dieb. „Ich nehme an, du läßt mich nicht los. Hat also nicht geklappt. Sch... ade!"
„Ich... ich... rufe den Abteilungsleiter", schrillte Mausgesicht. „Den Herrn Blohm. Herr Blohm! O Gott, wo ist er?"
Sie sprang auf. Aber es erübrigte sich, daß sie zum Telefon flitzte.
Blohm hatte wohl den sechsten Sinn, oder der Zufall lenkte gerade jetzt seine Schritte hierher. Jedenfalls tauchte er in der Gruppe auf wie der Teufel aus der Kiste und brauchte nur einen Blick, um die Lage zu erfassen.
„Diebstahl?" rief er. „Aha! Oder? Der helle Wahnsinn! Millionen kostet uns das pro Jahr. Und die Gesetze sind noch immer viel zu sanft mit den Tätern. Haben Sie ihn erwischt, Fräulein Frey?"
Fräulein Frey, das Mausgesicht, lief rot an.
„Wir haben ihn erwischt", sagte Klößchen. „Uns entgeht keiner."
Blohm kerbte Dackelfalten auf seine Stirn. Er war ein rosiger Typ mit ziemlich viel Glatze. Er war zuständig für TOPFPFLANZEN, HAUSHALTS- und SÜSSWAREN. Und seine Schultern fühlten sich wohl unter der Last der Verantwortung.
„Aha!" meinte er. „Oder? So, dann schließen Sie jetzt Ihre Kasse, Fräulein Frey. Und kommen Sie mit! Sie!" blaffte er den Dieb an. „Sie kommen auch mit. Keinen Widerstand. Klar? Euch", grinste er die TKKG-Bande an, „lade ich herzlich ein, mich zu begleiten. Ausgezeichnet, daß ihr aufgepaßt habt. Wenn nur mein Personal so wäre! Falls ihr eine kaufmännische Lehre antreten wollt - hier ist allemal ein Platz für euch frei."
„Darüber werden wir nachdenken", erwiderte Karl mit todernster Miene.
Blohm wandte sich um und stampfte voraus.
Tim schob den Dieb hinterher. Seine Freunde folgten. Fräulein Frey kam zuletzt. Sie ließ Kopf und Schultern hängen, als wäre dies ihr letzter Gang - nämlich der zur Hinrichtung.