Band 049: Schwarze Pest aus Indien

Band 049: Schwarze Pest aus Indien
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15048-1
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Leseprobe

llustration von Seite 14.
llustration von Seite 14.

Auf dem Steckbrief sah er nicht aus wie ein Verbrecher -jedenfalls nicht wie ein hauptberuflicher.
Gaby hatte den Steckbrief mehr oder minder heimlich bei ihrem Vater, dem Kripo-Kommissar, im Präsidium abgestaubt und mitgebracht ins Internat.
Auseinandergefaltet lag das Fahndungsplakat jetzt auf einem Tisch des Freizeitraums III im Internatshaupthaus. Tim, den man früher Tarzan genannt hatte, Computer-Karl und Klößchen beugten sich vor und musterten das Fahndungsfoto von Detlef Knobel aus schmalen Augen.
Gaby stand am Kopfende des Steckbriefs. Sie hatte den Blick auf Klößchen gerichtet.
„Tja", meinte das dicke TKKG-Mitglied und runzelte die Stirn, „ich bin mir absolut sicher - mindestens zu 80 oder 85, sagen wir zu 83 Prozent - daß er's ist."
„Ein Hammer!" murmelte Tim. „Echt! Das ist ein Schlag ins Gesicht."
„Bei 83 Prozent", sagte Karl, „muß man dem Irrtum eine Chance einräumen. Möglicherweise hatte Willi gerade einen Schokoladenkrümel im Auge und hat sich getäuscht."
„Unsinn!" schmetterte Klößchen den Einwand ab. „Schoko habe ich immer nur im Mund, nie im Auge. Was die Prozente betrifft, verbessere ich mich. Mit 89- bis 91prozentiger Gewiß-lichkeit ist dieser Detlef Knobel der Typ, mit dem sich Claudia Tümmel abgeknutscht hat. In der Lippstress-Straße, kurz vor der Bushaltestelle."
„Wahnsinn!" meinte Tim. „Dabei gehe ich davon aus, daß du diesen Verdacht nicht leichtfertig äußerst."
„Leichtfertig bin ich nie", erklärte Klößchen im Brustton der Überzeugung, „sondern mir der Verantwortung bewußt." Gaby lächelte arglistig, sagte aber nichts. Klößchen pumpte die Backen auf, starrte auf den Steckbrief und nickte noch zweimal.
Tim hob den Kopf, sah durch das hohe Fenster hinaus und dachte nach. , '
Im Park der Internatsschule wirbelte der Herbstwind bunte Blätter durch die Luft. Letzte Nacht hatte es geregnet. Der fahle Rasen war feucht.
Außer der vierköpfigen TKKG-Bande befand sich niemand im Freizeitraum III. Eigentlich stand jetzt Biologie auf dem Unterrichtsplan. Aber Studienrat Pflanzl war an Oktober-Grippe erkrankt. Daher fiel die Stunde aus, und die TKKG-Bande nutzte das zu einer Lagebesprechung.
„Ich fasse zusammen", sagte Tim: „Als Willi gestern nachmittag in einem Süßwarenladen der Lippstress-Straße seinen Schoko-Vorrat aufstockte, sah er zufällig, wie unsere Küchenhelferin Claudia Tümmel nahe der Bushaltestelle mit einem Typ schmuste. Sie umarmten und küßten sich. Willi vermeinte in dem Mann jenen - von aushängenden Steckbriefen her hinlänglich bekannten - Detlef Knobel zu erkennen. Das hat sich nun fast zur Gewißheit verdichtet."
„Ich erhöhe auf 96 Prozent", sagte Klößchen. „Doch, doch, der war's."
„Als externe (nicht im Internat wohnende) Schülerin", sagte Gaby, „kenne ich diese Claudia Tümmel gar nicht."
„Deshalb ist sie auch mir völlig fremd", nickte Karl.
Tim gab Auskunft.

Illustration von Seite 150.
Illustration von Seite 150.

„Claudia ist ungefähr achtzehn, vielleicht achtzehneinhalb. Leidlich hübsch, etwas drall. Sie lacht ziemlich schrill und hat manchmal abgebrochene Fingernägel. Sie wohnt hier in der Penne, drüben im Angestelltenhaus, wo alle Köchinnen untergebracht sind. Unangenehm ist sie uns noch nicht aufgefallen. Oder, Willi?"
„Im Gegenteil", versicherte Klößchen eilig. „Mir gibt sie Extraportionen, wann immer ich will. Wenn sie im Speisesaal bedient, kann ich mich nicht beklagen. Deshalb habe ich jetzt ein ganz schlechtes Gewissen, daß ich sie so in die Bratpfanne haue."
„Was soll das?" pfiff Tim ihn an. „Deine Extraportionen und Claudias Umgang mit einem gesuchten Verbrecher sind zweierlei Hüte. Bei uns kommt erst die Moral - will sagen: Recht und Gesetz - und dann der Internatsfraß."
„Wenn sie wirklich geknutscht haben", sagte Karl, „kann man davon ausgehen, daß sie sich näher kennen. Oder ist diese Claudia eine, die sich von jemanden abküssen läßt, mit dem sie zufällig an der Haltestelle steht?"
„Natürlich nicht!" erwiderte Klößchen. „Claudia Tümmel hat das richtige Augenmaß für Männer und Macker. Das erkennt man schon an meinen Extraportionen."
Für einen Moment schwiegen alle.
Tim sah in Gabys Kornblumen-Augen, und sie erwiderte den Blick, als wäre draußen Mai und nicht Herbst.
„Hast du deinen Vater befragt, Gaby?"
„Habe ich. Detlef Knobel ist 29 Jahre alt, kriminell seit 16, in gefährlicher Weise gewalttätig und in gewisser Weise süchtig. Nicht nach Heroin, Haschisch oder Kokain, sondern nach aufputschenden Tabletten. Deshalb hat er schon mehrmals Apotheken überfallen und ist in Arztpraxen eingebrochen. Überhaupt: Überfälle und Einbrüche - damit verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Er hat zwei Vorstrafen. Gesucht wird er wegen mehrerer Übeltaten. Bei der nächsten Verurteilung droht ihm langjähriger Knast. Daß er ganz gut aussieht, könnt' ihr ja feststellen", sie deutete auf den Steckbrief. „Wahrscheinlich ist diese Claudia in ihn verknallt. Und vielleicht weiß sie gar nicht, an wen sie da ihr Herz gehängt hat."
Karl hob die Brauen über den Rand der Nickelbrille. „Sagen wir's ihr?"
Tim schüttelte den Kopf. „Sie verteilt zwar Extraportionen, aber Vernunft und Einsicht hat sie bestimmt nicht mit Löffeln gefressen. Es besteht die Möglichkeit, daß sie Bescheid weiß über ihren Macker - und trotzdem zu ihm hält. Weil er ihr Typ ist. Wenn wir dann mit der Message (Nachricht) anrücken, hätte das nur zur Folge, daß sie ihn warnt."
„Also", schlußfolgerte Karl, „läuft es darauf hinaus, daß wir Claudia Tümmel beschatten. Damit sie uns, ohne es zu ahnen, zu Knobel hinführt. Dann greifen wir zu, und Gabys Vater hat eine Sorge weniger."
Tim nickte. „Du sagst es."