Band 087: Bei Anruf – Angst

Band 087: Bei Anruf – Angst
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15087-0
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Leseprobe

llustration von Seite 49.
llustration von Seite 49.

Ein großer Raum, grell erleuchtet. Schreibtische mit PC und Konsolen, Telefone - drei insgesamt. Regale mit viel Fachliteratur - die von den Beratern ausgeliehen wurde. Gaby saß am Schreibtisch, trug Kopfhörer mit dem angebügelten Mikrofon, hatte sich auf dem Drehsessel umgewandt und lächelte erfreut. Sie öffnete schon den Mund, um die Jungs zu begrüßen, erhielt aber in diesem Moment einen Anruf.
Rasches Pusten gegen die Ponyfransen. Dann meldete sie sich.
„Sorgofon - Gaby Glockner. Halloooooooooooo!"
Dieses Hallo, dachte Tim, hat man den Beratern beigebracht - als fröhliche Einstimmung.
Hinten bei der Espresso-Maschine hatte Dr. Ingeborg Malparese ihren Schreibtisch. Die etwa 30-jährige Psychologin war ein nettes graues Mäuschen und zur Zeit entsetzlich vergrippt. Tomatenrote Nase. Vor sich hatte sie drei Stapel Papiertaschentücher aufgebaut. Sie streckte auch gleich abwehrend die Hände aus - obwohl mit freundlichem Lächeln. Vielleicht argwöhnte sie, die Jungs würden sie umarmen und abbusseln.
Tim zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Gaby, ohne sie zu stören, erhielt aber trotzdem - am Mikrofon vorbei - ein Streif-Bussi auf die Wange.
Am zweiten Schreibtisch saß ein dunkelhaariges Mädchen, das keiner der Jungs kannte. Mit ergebenem Dackelblick informierte sie einen offenbar nervigen Anrufer über das innerstädtische Feten-Angebot zur Jahrtausendwende. Auch das war inbegriffen im Service.
Zur technischen Ausrüstung der Berater gehörte die Lautsprecher-Anlage.
Gaby hatte sie eingeschaltet, damit die Jungs mithören konnten. Allerdings
war der Lautsprecher eher ein Leisesprecher, gab nämlich die Anrufer-
stimmen sehr gedämpft wieder - um für den anderen Berater keinen
störenden Hintergrund-Dialog zu erzeugen.

Illustration von Seite 55.

Gaby horchte. Die Leitung war offen. Trotzdem Stille.
„Hallooooooo! Ist da jemand draußen im Land?"
Ein Seufzer. Ein zitternder Atemzug. Dann die Stimme eines Mädchens.
„Ich ... will aber meinen Namen nicht sagen."
„Das ist auch nicht nötig." Gaby lächelte weich. „Die wenigsten Anrufer stellen sich vor. Wozu auch? Es geht doch um Schwierigkeiten - und um die Hilfe, die wir anbieten. Namen müssen nicht sein."
„Wie alt bist du?", fragte das Mädchen.
„Vierzehn."
„Ich auch."
„Dann kann ich sicherlich nachfühlen, was dich bedrückt."
„Nein. Das glaube ich nicht."
„Nein?" Gaby blickte Tim kurz an.
Karl und Klößchen hatten sich rechts und links an den Schreibtisch gelehnt. Dr. Malparese schniefte so leise wie möglich in ein Taschentuch und spitzte die Ohren.
„Bestimmt nicht", sagte das Mädchen, „oder hast du einen Bruder - einen älteren Bruder, der ... der Verbrechen begeht?"
Sie begann zu weinen. Es klang so entsetzlich trostlos, dass Gaby die Schluchzer wie Nadelstiche spürte.
Oha!, dachte Tim. Verbrechen?! Das sprengt die Beratertätigkeit. Das ist eher unser Gebiet. Hoffentlich hält die Malparese sich raus.
Gaby hatte geschluckt. „Du sagst, dein Bruder begeht Verbrechen. Wissen eure Eltern davon?"
„Wir haben keine Eltern. Sie leben nicht mehr."
„Das tut mir leid."
„Sie sind umgekommen bei einem Flugzeugabsturz."
Gaby presste die Hände aneinander.
„Vielleicht ... ist dein Bruder dadurch abgedriftet."

Illustration von Seite 74.
Illustration von Seite 74.

„Nein. Ich glaube, er ist einfach schlecht. Er jagt dem Geld nach. Er ist schon über 20. Er müsste doch wissen, was richtig ist. Ganz zufällig habe ich jetzt rausgekriegt, was er macht. Er ... ist Schleußer. Er schmuggelt Menschen ins Land. Er gehört zu einer Schleußerbande. Er ist ein Weiterverteiler - so heißt das. Wenn diese armseligen Ausländer erst hier sind, dann übernimmt er die Verteilung über ganz Deutschland. Außerdem hat er zwei Kumpel. Die sind genauso schlecht. Mit dem einen ist er jetzt nach Tirol gefahren - in den Urlaub. Sie haben auch dort ein Verbrechen vor. Aber etwas anderes. Es hat mit Likör zu tun. Der andere Kumpel ist hier und passt auf mich auf. Ich bin in seiner Wohnung. Und jetzt", ihr Weinen wurde heftiger, „weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich kann doch meinen Bruder nicht verraten. Ich kann nicht zur Polizei gehen. Aber ich halte das nicht aus."
Wahnsinn! Tim lauschte angestrengt. Da war nicht nur die Stimme des Mädchens. Fern im Hintergrund waren noch andere Geräusche.
„Ich verstehe dich", Gaby flüsterte fast, als sei das angemessen für dieses düstere Geheimnis. „Aber ich muss dir unbedingt raten, das nicht einfach laufen zu lassen, sondern noch heute ..."
Sie hielt inne. Das Mädchen hatte aufgeschrieen. Etwas polterte zu Boden. Schritte.
„Verdammt!" Eine Männerstimme. Abrupt wurde der Hörer aufgelegt. Das klang hart und endgültig, als werde eine Kerkertür geschlossen für lebenslänglichen Knast.
„Hallo!" Gaby rief. Diesmal hatte das Hallo nur ein o.
Die Leitung blieb stumm. Dann setzte das Freizeichen ein.