Tarzan war noch im Waschsaal und putzte sich die Zähne.Wie
üblich, war er der Letzte; und damit’s schneller ging, ließ er die
Backenzähne aus.
Klößchen, der eigentlich Willi hieß, sah zur Tür herein.
»Beeil dich! Rembrandt kommt.«
Na und? dachte Tarzan. Dann kommt er eben. Ist ja schließlich
nichts Neues. Seinetwegen reiße ich mir bestimmt kein
Bein aus.
Er gurgelte nochmal kräftig und spülte sich den Mund aus.
Rembrandt – wie sie den Zeichenlehrer Dr. Pauling nannten
– war sein Erzfeind.Und Tarzan tat alles, damit diese Feindschaft
nicht erlosch.Aber heute Abend hatte er was Tolles vor.
Daher war es besser, Rembrandt nicht unnötig zu reizen.
Tarzan drückte seinen Waschlappen aus, hängte das Handtuch
an den Haken und steckte die Zahnbürste in den Becher.
Die Tür flog auf.
Tarzan sah nicht hin. Er wusste auch so, wer es war.
Das helle Licht der Leuchtröhren spiegelte sich auf Dr. Paulings
Brillengläsern. Er hatte ein bleiches Gesicht, das nie
lachte, und wenig Haare. Dass er ungerecht und gemein war,
wussten alle. Unter den 500 Schülern der Internatsschule war
keiner, der ihn mochte.
Rembrandt räusperte sich. Das tat er oft, und es klang jedes
Mal, als leide ein Rabe an Halsweh.
»Natürlich! Herr Peter Carsten ist wieder mal nicht fertig.
Er möchte wohl eine Extraeinladung? In drei Minuten, mein
Lieber, bist du im Bett. Klar?«
»Ich war noch so staubig hinter den Ohren«, sagte Tarzan,
»deshalb hat’s länger gedauert.«
Aber Rembrandt hörte nicht hin. Er war schon draußen,um
seine Runde durch den zweiten Stock fortzusetzen.
Hier schliefen die 12- bis 14-Jährigen. Für sie war um halb
neun Zapfenstreich. So verlangte es die Hausordnung des
Internats.
Drei Minuten!, dachte Tarzan.Was der sich einbildet! Ist ja
erst Viertel nach acht. Seine Uhr geht wohl vor?
Peter Carsten, der mit Spitznamen Tarzan hieß, war 13 und
ziemlich groß für sein Alter. Außerdem war er der beste
100-Meter-Läufer und ein so guter Volleyball-Spieler, dass er
demnächst in der Schulmannschaft mitmachen sollte.
Seinen Spitznamen hatte er weg, weil er mit affenartiger Geschwindigkeit
am Kletterseil hochturnen konnte. Außerdem
vielleicht, weil er dunkle Locken hatte. Und weil sogar im Winter
seine Haut die sommerliche Bräune behielt. Er war ein
blauäugiger Tarzan, schlank, muskulös und durch und durch
sportlich.
Alle Schlafräume im zweiten Stock hatten Spitznamen.
Das ADLERNEST, wo Tarzan wohnte, war ein winziger
Raum, gerade groß genug für zwei Betten, zwei Schränke und
Klößchens Fressvorräte.
Auch jetzt, nach dem Zähneputzen, saß Klößchen auf
seinem Kopfkissen und kaute. Schokolade, natürlich. Ohne
Schokolade konnte er nicht leben; und je mehr er davon aß, um
so dicker wurde er.
»Hast du deine Kniebeugen gemacht?«, fragte Tarzan.
Klößchen zog schuldbewusst den Kopf ein. »Nur 20.«
»So wirst du nie dünner.Wenn du eines Tages platzt, möchte
ich nicht in deiner Nähe sein. Ich wette, du hast nicht Blut, sondern
Kakao in den Adern.«
Klößchen wischte sich den Mund ab. Er war einen halben
Kopf kleiner als Tarzan, wog aber sechs Kilo mehr. Seine runde
Figur wurde einem Kloß immer ähnlicher. Und wenn er beim
Turnen zappelnd an der Reckstange hing, ohne einen halben
Klimmzug zu schaffen, musste Tarzan ihn hochstemmen – was
Schwerarbeit war. Aber Klößchen hatte ein freundliches
Mondgesicht. Seine Segelohren und die rotblonden Haare
passten dazu. Erstaunt beobachtete er jetzt, wie Tarzan rasch in
seine Jeans schlüpfte, die Turnschuhe anzog, das blaue T-Shirt
und den gelben Pullover.
»Willst du noch weg?«
»Klar. Ich bin verabredet.«
Tarzan kroch ins Bett. Bis zum Kinn zog er die Decke hoch.
Wie er so dalag, sah er aus wie ein Pennematz, den nichts aus
den Federn bringt – es sei denn, die Schule brennt.