Die Sache ist zwiespältig: Einerseits handelt es sich um meinen bisherigen Lieblingsband, andererseits weist er doch so unübersehbare Mängel auf, daß eine Höchstbewertung nicht möglich ist. Dazu kommt, daß ein Teil der Mängel vermeidbar ist, während ein Mangel konzeptbedingt ist und daher nicht zur Abwertung führt. Als Geschichte an sich ist der Band rundum gelungen. Zu keinem Zeitpunkt kommt Langeweile auf, immer passiert etwas. Der Autor vermeidet gekonnt Längen, andererseits bricht nirgends Hektik aus. Der im Prinzip einphasige Aufbau – es gibt nur einen Handlungsstrang – läßt genug Raum, die Geschichte ruhig, lebendig und folgerichtig zu entwickeln. Daß es im Detail mit der Folgerichtigkeit manchmal nicht weit her ist, wird noch weiter unten erörtert. Liebevoll und eingehend baut Rolf Kalmuczak das Geschehen auf. Seine lebendige Schreibe führt dazu, daß der Leser immer mitten dabei ist, statt nur in der ersten Reihe zu sitzen, um mal den früheren Werbespruch eines Privatsenders zu bemühen. Der dramaturgische Aufbau ist dabei durchaus geschickt. Am Anfang bleibt die Jugendsekte „Jünger aus Atlantis – JAA“ noch eine höchst abstrakte Bedrohung im Hintergrund. Doch mehr und mehr wird die Bedrohung konkret. Der erste reale Kontakt zeigt die Sektenanhänger bei ihrer titelgebenden Beschäftigung, dem Betteln. Und da der Leser zunächst einem mutmaßlichen Diebstahlsopfer begegnet und ihm kurz darauf ein Diebstahlsversuch gegenüber der/dem G von TKKG vorgeführt wird, baut sich die Spannung automatisch auf. Dabei bleibt es nicht. Ein Mitschüler wird umgarnt, zunächst durch freundliche Ansprache, dann durch Verabredungen. Die Sache spitzt sich zu, denn der Leser erfährt im Wege eines Gangsterdialogs, daß der Abtransport des Schülers ins ferne Ausland geplant wird – und dann verschwindet der Schüler tatsächlich. Ein glücklicher Zufall führt Tarzan, Klößchen und Gaby als Begleiter von Kommissar Glockner – Karl kommt später hinterher, spielt aber keine Rolle bei der weiteren Aufklärung – nach Tunesien, wo in einer durchaus dramatisch zu nennenden Undercover-Aktion der Sekte das Handwerk gelegt wird. Das alles wird immer atmosphärisch dicht geschildert und auch mit der gehörigen Portion Humor. Dabei wissen die ironischen Wendungen in der Erzählung besonders zu gefallen. Lustig ist auch das Sektenoutfit, dem zu entnehmen ist, daß es sich bei JAA zumindest äußerlich um eine Mischung aus Hare Krsna und Bhagwan-Sekte zu handeln scheint. Die Sache ist so gelungen, daß ein Mangel hingenommen werden kann: Das ganze Sektenproblem wird simplifiziert. Natürlich läuft die Werbung von Sektenmitgliedern nicht annähernd so schlicht ab, wie sie hier geschildert wird. Die Zielperson wird normalerweise angefixt durch freundschaftliche Annäherung – hier entspricht die Geschichte noch dem üblichen Vorgehen – und dann dazu gebracht, Vorträge, Lehrgänge oder ähnliches zu besuchen, wo die Sektenlehre zunächst grob vorgestellt wird. Durch Manipulationen wird die freie Entscheidung unmerklich ausgeschaltet und die Zielperson zunächst dazu gebracht, weiterführende Kurse zu besuchen. Diese münden schließlich in einer Vollmitgliedschaft. Es ist also nicht so, daß eine Zielperson umgarnt, zum Anschluß überredet, dann außer Landes gebracht und festgesetzt wird, wo man sie dann wie auch immer gewaltsam „umdreht“. Nur – die reale Werbung von Mitgliedern wäre zu kompliziert für die Zielgruppe dieses Bandes, und sie wäre außerdem kein TKKG-Fall. Eigentlich wäre sie überhaupt kein Fall, sondern sie wäre eine Sache für einen professionellen Deprogrammierer. Da auf diese Weise keine Geschichte für junge Teenager wird und sie außerdem nicht spannend wäre, haben wir es hier mit dem typischen Rolf-Kalmuczak-Inventar aus gewohnheitsmäßig kriminellen Primitivlingen, Brutalos und Leuten mit ästhetischen Problemen – mit engstehenden, tiefliegenden, stechenden Augen, teigiger Erscheinung und so weiter und so fort – zu tun. Wer mal wirklich wissen will, wie das mit der Mitgliederwerbung und der Befreiung und Deprogrammierung abläuft, mag das erfreulich dünne dtv-Büchlein „Ich war ein Munie“ von Oliver von Hammerstein aus ungefähr derselben Zeit lesen, in der auch der TKKG-Band geschrieben wurde. Besagtes dtv-Büchlein ist längst vergriffen, aber im Internet für z. T. 20 Cent plus Versand zu haben und höchst informativ. Zurück zu den Kalmuczak-Ganoven: Hier tritt auch schon der erste gravierende Mangel auf, nämlich der oben schon angeführte Mangel bei der Folgerichtigkeit im Detail. Sämtliche in diesem Band näher beschriebene JAA-Anhänger sind nämlich klassische Ganoventypen. Das ist ein logischer Bruch, erfahren wir doch im ersten Kapitel, daß es sich ja eigentlich um gekidnappte und gehirngewaschene Opfer handelt, also nicht um den üblichen arbeitsscheuen Ganoven aus freier Entscheidung. Offenbar sind besonders sensible und labile Jugendliche anfällig. Und so einer muß auch der Aufseher Salwa gewesen sein, von Grombali und Argoub ganz zu schweigen. So werden sie aber nicht beschrieben, sondern im Gegenteil. Dieser Fehler ist ärgerlich und vermeidbar, denn für ein wenig Mehrschichtigkeit wäre genug Raum gewesen, haben wir es doch nur mit einem Handlungsstrang zu tun. Was aber richtig ärgerlich ist, das ist der zweite Mangel, nämlich die kaum verhohlene Zustimmung zu höchst fragwürdigen Handlungen einiger Erwachsener, die doch an sich auf der „guten“ Seite stehen. Da wäre zum einen der Vater des – zunächst nur mutmaßlichen – Sektenopfers Uwe Widmann, der mit einer ungeladenen Jagdwaffe in das örtliche Sektenzentrum stürmt. Zwar ist auch Tarzan entsetzt, als er das sieht, aber das Verständnis, das von allen Seiten diesem Mann entgegengebracht wird, ist nicht akzeptabel. Am Ende stehen die Sektenanhänger deshalb als die Bösen da, weil sie den Angreifer in eindeutiger Notwehrlage – oder, für Juristen, in einem entschuldigenden Erlaubnistatbestandsirrtum gem. § 16 I StGB analog – niedergeschlagen haben. Zum anderen wäre da der Zahnarzt, der mit den Widmanns bekannt ist und aus Rachegründen dem Aufseher Salwa ein Medikament in den hohlen Zahn praktiziert, das erst recht für fürchterliche Schmerzen sorgt. Da hört's wirklich auf. So einem Zahnarzt gehört die Approbation entzogen. Stattdessen wirbt Kalmuczak nicht einmal um Sympathie für den Mann, sondern setzt sie einfach voraus. In einem Jugendbuch ist das verheerend. Da ist – dritter schwerer Mangel – Tarzans nach allen Maßstäben illegaler Lauschangriff beinahe schon eine läßliche Sünde. Fazit: Schwere Kritik, aber auch viel Lob. Rolf Kalmuczak hatte ein Anliegen, und das bringt er nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern gekonnt in einer höchst unterhaltsamen und spannenden Geschichte an den Mann, die Warnung vor sogenannten destruktiven Kulten nämlich, die vor allem zur Entstehungszeit des Buches – 1981 – ein besonderes Problem darstellten. Der Band hätte sich aufgrund des guten Aufbaus, der lebendigen Erzählweise und des allgegenwärtigen Humors und nicht zuletzt aufgrund der gelungenen Zeichnungen von R. Stolte, dessen Interpretation des Sektenchefs man allerdings gerne gesehen hätte, die Höchstbewertung verdient. Leider verspielt sie sie mit sittlich-moralisch fragwürdigen Elementen. |