Band 086: Frische Spur nach 70 Jahren

Band 086: Frische Spur nach 70 Jahren
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978--357-015086-3
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Leseprobe

llustration von Seite 17.
llustration von Seite 17.

Smog und Pestbeule!, dachte Klößchen. Er dachte es nur. Er fluchte nicht laut. Denn er saß neben seiner Mutter in der Jaguar-Limousine und da war guter Benimm Pflicht. Sie fuhren. Erna Sauerlich, Klößchens Mutter und Gattin des bekannten Schokoladen-Fabrikaten Hermann S., chauffierte selbst. Der Fahrer hatte seinen freien Tag und Klößchen zappelte auf dem Nebensitz herum, was ihm schon den zweiten strafenden Blick eintrug.
„Tut mir Leid, dass ich so vergesslich bin", sagte Erna.
Sie ist groß und schlank - figürlich also das Gegenteil von Sohn Klößchen und dessen Vater. Ihr Schwanenhals verträgt locker fünf bis sechs Ketten.
Trotzdem - und das sollte das Verhängnis werden - hatte sie an diesem heißen Samstagvormittag im Juni ihr Portmonee vergessen. Jedenfalls das zweite, das mit dem Bargeld. Das andere Portmonee enthielt nur drei Scheckkarten und den Merkzettel für die Einkäufe.
„Ist ja gut, Mutti", knurrte Klößchen. „Aber kostbare Freizeit rinnt uns durch die Finger. Und ich bin mit meinen Freunden verabredet."
„Mit denen bist du immer zusammen. Da kannst du ruhig mal einen Einkaufsbummel mit deiner Mutter verbringen."
„Ist ja gut, Mutti."
„Zumal wenn es um deine Sachen geht. Du hast schon wieder zugenommen und brauchst unbedingt die orthopädischen Einlagen für deine Schuhe. Dr. Müller-Knickberger hat uns gewarnt. Du steuerst auf Plattfüße zu. Das müssen wir verhindern. Mit Diät und mit Einlagen."
Klößchen seufzte. „Gegen die Einlegesohlen habe ich nichts."
Smog und Pestbeule! War denn nirgendwo eine Parklücke? Seine Mutter kurvte schon zum vierten Mal durch die Innenstadt, aber immer in Sichtweite des Bankhauses Spinkler & Kokäsch.

Illustration von Seite 45.
Illustration von Seite 45.

Geld musste her. Ohne Geld kein Einkaufen, zumal wenn man auch die Kreditkarten nicht dabei hat - die bei kleinen Rechnungsbeträgen ohnehin nur Ablehnung erfahren - und außerdem auch die EC-Schecks zu Hause geblieben sind.
Um nicht noch mehr Zeit zu verplempern mit dem langen Rückweg ins noble Villenviertel am Stadtrand, wo die Sauerlichs wohnen, blieb nur eine Möglichkeit zur Bargeld-Beschaffung: mit der Scheckkarte am Geldautomaten. Denn dieser Service erstreckt sich zum Glück auch auf Sonn- und Feiertage und die dunklen Stunden der Nacht.
„Schrecklich, diese Zustände!", sagte Erna. „Es werden immer mehr Autos verkauft. Aber die Zahl der Parkplätze nimmt eher ab. Weil so viel unnütze Gebäude entstehen. In der Zeitung stand: In unserer Stadt gibt es viermal mehr Autos als Parktaschen. Wohin soll das noch führen?"
„TKKG biken", erwiderte Klößchen. „Du könntest mir auch gleich ein paar neue Biker-Schuhe kaufen. Und ein neues Bike."
„Dein Fahrrad ist ja erst drei Monate alt. Wenn du's mal putzen würdest, könnte man das sehen."
„Lohnt nicht. Wird ja gleich wieder dreckig. Tim düst durch jede Pampa und wir müssen mit."
„Aber er putzt sein Rad. Und Gaby und Karl auch."
Klößchen beschloss, die Unterhaltung nicht in diese Richtung auszudehnen, und blickte interessiert aus dem Fenster. Wahnsinn!, dieser Auftrieb von Menschen und Autos! An einem überfüllten Strand an einem südlichen Meer konnten einem die Urlauber Leid tun. Aber dieser innerstädtische Andrang, dieses Rumhängen in Abgas-ummieften Straßencafes - einfach abartig! Geradezu selbstquälerisch! Soll ja auch Leute geben, dachte er, die sich high fühlen, sobald sie im Stau stehen.

Illustration von Seite 103.
Illustration von Seite 103.

Vor dem Bankhaus Spinkler & Kokäsch gab es 18 Parktaschen. 18 Wagen standen dort - und zwei Motorräder.
Erna hielt hinter den Heckseiten eines Honda, eines Opel und eines BMW-Touring. Immerhin ist der Jaguar ein ziemlich lang gestrecktes Fahrzeug. Dieser Platz war zum Halten keineswegs günstig - Erna blockierte drei Wagen -, aber der fließende Verkehr wurde nicht behindert, und solange sie am Lenkrad blieb, konnte sogar eine mitleidslose Politesse ein Auge zudrücken.
„Willi, dann musst du das machen."
„Was denn, Mutti?"
Sie kramte schon in ihrer Handtasche. „Geld aus dem Automaten ziehen."
„Habe ich noch nie gemacht."
„Dann lernst du es jetzt."
Sie hielt die drei EC-Karten in der Hand. Mit nachdenklichem Blick wurden die Nummern geprüft.
„Es geht nur, wenn man die Geheimnummer weiß, nicht wahr?", fragte Klößchen.
„Ja. Nur damit. Von der hier weiß ich sie gar nicht. Von dieser nicht genau. Aber von dieser weiß ich sie. Ja. 18-12. Kannst du dir das merken?"
„18-12, 18-12, 18-12. Ich bau mir 'ne Eselsbrücke: sechs Tage vor Weihnachten. Gut, wie?"
„Sehr gut, Willi. Man merkt, dass du eine teure Schule besuchst."
Beide lachten.
„Unser Bankhaus", erklärte Erna, „hat einen Vorraum. Dort..."
„... steht auch der Geldautomat."