Band 095: Stundenlohn für flotte Gangster

Band 095: Stundenlohn für flotte Gangster
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Preise bei Erscheinen:
ISBN:
Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15094-8
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Leseprobe

Illustration von Seite 14/15.
Illustration von Seite 14/15.

An einem Donnerstag Mitte Juli gab’s Hitzefrei. Die
Internatsschule war total leer, das Neptunia-Freibad am
südlichen Stadtrand dafür umso voller. Ungezählte Sonnenbrände
wurden eingeleitet und Klößchen zog sich
schon das fünfte Schoko-Eis rein.
TKKG lagen auf Gabys orangerotem Badelaken, das
immerhin vier Quadratmeter misst. Eine Schwarzerle
spendete Schatten. Gaby ließ sich von Tim den Rücken
einölen und Karl döste über einem dicken Buch über
Sonderfälle des deutschen Strafrechts.Aus Versehen hatte
er das eingepackt.
Gaby, die bäuchlings lag und mit aufgestützten Ellbogen,
pustete gegen ihre Ponyfransen.
»Die schöne Anna«, sagte sie, »ist zweifellos die schönste
Lehrerin, die wir jemals hatten.«
»Stimmt«, brummte Klößchen. »Sie ist hinreißend schön.«
»Warum soll nicht auch eine Lehrerin schön sein«, meinte Tim.
»Sogar eine Polizistin kann eine Schönheit sein«, bestätigte
Gaby, »oder eine Pastorin oder eine Altenpflegerin.
Obwohl natürlich der Charakter mehr zählt.«
»Charakter und Intelligenz«, sagte Karl und blätterte um.
»Weshalb kommst du jetzt auf Anna?«, fragte Tim.
Er lag wie Gaby und hatte das Gesicht wieder in den
gekreuzten Armen vergraben.
»Weil sie dort hinten ist«, erwiderte seine Freundin.
»Und sie wird angebaggert.«
Die Jungs hoben die Köpfe.
Gaby wies in den hinteren Teil der riesigen Liegewiese,
wo die etwas ältere Generation in der Gluthitze lagerte.
Tim entdeckte Dr. Anna Riedel sofort. Und das nicht
wegen ihres knallroten Bikinis, sondern wegen des Typs.
Anna Riedel war 29, schlank und von madonnenhafter
Schönheit. Die großen dunklen Augen blickten meist
etwas erschreckt und Annas Haltung schien auszudrücken,
sie suche Schutz. Das Haar trug sie kurz, im vergeblichen
Bemühen, sich damit eine sportlich kesse Note zu geben.
Die Studien-Assessorin unterrichtete Englisch und
Deutsch. Ihr Wesen war sanft. Eine schlechte Note zu geben,
bereitete ihr sicherlich Bauchweh. Dass sie bei allen
männlichen Schülern beliebt war, versteht sich von selbst.
Aber auch die Mädchen mochten Anna Riedel ausnahmslos.
Ihr Spitzname »die schöne Anna« war ein freundliches
Etikett und frei von jedem Spott.
Jetzt saß sie auf ihrem Badetuch und blickte auf zu dem
Typ, der stehend auf sie einredete.
»Sie scheint ihn zu kennen«, stellte Tim fest.
»Aber begeistert ist sie nicht«, sagte Gaby.
Klößchen beschattete die Augen mit flacher Hand.
»Ziemlich billiger Typ.«
Tim grinste. »Eine Kreuzung aus Bodybuilder, Model
für Unterwäsche und Anabolika-Dealer (Anabolikum =
gesundheitsschädliches, Muskel bildendes Präparat).«
Der Mann war braun gebrannt, schwarzlockig und hatte
jene Art von Muskeln, die optisch was hermachen, aber
bei Gebrauch versagen. Seine Schwimmshorts waren so
strahlend blau, wie man sich ein Meer zum Baden erträumt.
Hm!, dachte Tim. Die beiden reden heftig miteinander.
Und Anna bricht gleich in Tränen aus – das sehe ich sogar
von hier.
»Wahrscheinlich will er mit Anna Wasserball spielen«,
meinte Klößchen. »Aber sie will sich sonnen. Kann sie
überhaupt schwimmen?«
Keiner wusste das.
Tim beobachtete jetzt, wie der Strand-Adonis in die
Hocke ging, aber Anna wandte sich ab, drehte ihm den
Rücken zu und warf sich einen grell bunten Pareo (Wickeltuch)
über die Schulter.
Der Adonis quasselte noch eine halbe Arie ins Leere –
ohne Aufmerksamkeit zu erzielen.
Schließlich streckte er sich wieder und schritt davon mit
angespannten Muskeln und erhobenem Haupt.
Tim spürte instinktiv Unbehagen.Als der Mann das Gesicht
in seine Richtung wandte – zufällig –, erschrak er:
über die kalte Wut in den ausgemergelten Zügen.
»Uih!«, meinte Gaby. »Der ist aber verstimmt.«
»Verstimmt? Der kocht.«
»Vielleicht nimmt er’s persönlich, dass er abgeblitzt
ist.« Gaby lachte auf und verbesserte sich. »Aber wie soll
man’s sonst auffassen, wenn nicht persönlich. Zu- oder
Abneigung, das hat nur damit zu tun.«
»Anna scheint jetzt zu schlafen«, vermutete Klößchen.
»Jedenfalls schützt das Tuch sie vor Sonnenbrand.«
Damit war das Thema beendet. Karl las weiter. Auch
Klößchen schlief ein. Tim kitzelte Gaby mit einem Grashalm.
Im Freibad tobte die Hölle. Und das keimfreie Wasser
roch und schmeckte nach Sonnencreme.
Die Sonne stand hoch. Mittag.Aber nicht mal Klößchen
hatte Hunger. Tim sagte, er lade ein, trabte mit seinem
Portmonee zum Kiosk und kam beladen zurück: noch ein
Schoko-Eis für Klößchen, Cola light für Gaby, Karl und
sich selbst.

Illustration von Seite 20.
Illustration von Seite 20.

Um 13.03 Uhr machte Gaby einen Vorschlag.
»Hier ist es doch doof. Und ich will auch nicht in die
Brühe. Aber Lust auf Schwimmen habe ich total.Wollen
wir nicht zum Klarbacher Waldsee fahren? Dort ist das
Wasser fast trinkbar – so rein, eine herrliche Natur ringsum
und kaum Leute, weil man nur zu Fuß oder mit dem
Bike hinkommt.«
»Starke Idee!«, nickte Tim, »Machen wir.«
»Aber dort gibt’s keinen Kiosk«, gab Klößchen zu bedenken.
»Dafür aber Walderdbeeren«, erwiderte Gaby. »Wenn
du das Ufer abgrast, kommst du auf deine Kosten.«
Sie räumten den Platz.
Tim blickte zu Anna Riedel, doch sie war nicht mehr da.
Zufällig sah er sie dann, als sie in einer der Umkleidekabinen
verschwand.
Zehn Minuten später – auf dem Parkplatz hinter dem
Schwimmbad – sah er die Lehrerin abermals.
Tim hatte sich beeilt und war als Erster am Fahrradstand,
wo TKKG die Tretmühlen angekettet hatten.
Gaby, Karl und Klößchen kamen soeben durch den Ausgang,
die City-Rucksäcke mit den Badesachen geschultert.
Tim hatte sein Rennrad schon losgemacht und stützte
sich auf den Sattel. Zufällig glitt der Blick über den Kfz-
Parkplatz. Die Autos standen dicht bei dicht.
In Sicht-, aber nicht in Hörweite hatte Anna Riedel ihren
silbergrauen Golf abgestellt. Sie trug jetzt ein geblümtes
Sommerkleid und legte ihre Badetasche auf den Rücksitz.
Als sie die Tür schloss, war plötzlich der Adonis neben
ihr – schien aus dem Boden gewachsen zu sein, als habe er
geduckt zwischen den Wagen gelauert.
Sein cremefarbener Anzug glänzte in der Mittagssonne.
Die Sonnenbrille funkelte. Er trug kein Hemd, aber eine
Goldkette auf nackter Brust. Sie war nicht gerade armdick,
aber eine Ringelnatter von diesem Format wäre ein
ausgesprochen fettes Exemplar gewesen.
Er versuchte, Annas Hand zu fassen, doch die junge
Frau wich vor ihm zurück. Dann wollte sie die Fahrertür
öffnen.
Offenbar gelang das nicht.Tim konnte nicht sehen, weshalb
– weil ein Wagen die Sicht verstellte. Sicherlich blockierte
der Adonis die Tür.
Tims Freunde waren angelangt und beobachteten die
Szene gespannt.
»Mist!«, seufzte Gaby. »Vorhin war ich ganz froh, dass
du nicht eingreifen musstest. Aber jetzt,Tim – ich glaube,
Anna braucht Hilfe.«
»Bin schon unterwegs«, grinste er und schob Klößchen
sein Bike hin.
Nach fünf schnellen Schritten verzögerte Tim.
Anscheinend hatte Anna sich selbst geholfen, hatte den
lästigen Typ abgeschmettert. So sah’s aus.
Der Adonis wandte sich in diesem Moment ab und
sockte nach rechts, nicht minder wütend als vorhin. Zweimal
nahm er seine Sonnenbrille ab und setzte sie wieder
auf. Ebenso gut hätte er sich die Haare raufen oder an
seiner Kette knabbern können.
Indessen warf sich Anna in ihren Wagen und machte mit
heulendem Motor eine Art Kavalierstart.
Rückwärts schoss sie aus ihrer Parklücke.