Band 099: Raubzug mit dem Bumerang

Band 099: Raubzug mit dem Bumerang
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
28. Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15099-3
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Leseprobe

llustration von Seite 13.
llustration von Seite 13.

Tim knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste und starrte in die wabernde Dunkelheit. Er war sauer, schweinesauer, hatte Wut im Bauch - wusste aber, dass es ungerecht war. Trotzdem musste er einen Impuls niederringen. Der Impuls befahl ihm: Spring aus dem Bett, nimm's Kopfkissen und prügele los auf dieses Ungetüm in dem Bett dort drüben.
Das Ungetüm war Klößchen, Tims Freund und Budenkamerad. Der Ort: die Internatsbude Adlernest. Die Zeit: 00.11 Uhr, also nachts, im Frühsommer. Tims Wecker tickte leise. Die Leuchtziffern schimmerten. Hinter den Fenstervorhängen ein matter Schein der Hoflaterne.
Und Klößchen durchlebte einen höllischen Albtraum. Klößchen grunzte, jaulte, brabbelte, fluchte, schrie auf, ächzte...
Seit fünf Minuten ging das so. Aber er wachte nicht auf.
Klößchens bühnenreifes Angstkonzert hatte Tim aus tiefem Schlaf gerissen. Ein schöner Traum - Hand in Hand lief der TKKG-Häuptling mit Gaby an einem Seeufer entlang - erfuhr ein jähes Ende. Schlimm, schlimm! Tim hatte sich die Stelle am Ufer, an der sie gerade angelangt waren, genau gemerkt, um mit dem nächsten Traum, auf den er sich schon freute, nahtlos anschließen zu können. Aber jetzt, da er wutschnaubend wach lag, verblasste das Traumbild, der See wurde zum Tümpel, das Ufer zur Müllhalde -lediglich Gaby blieb bezaubernd und frisch.
Ich gebe ihm fünf Minuten, hatte Tim gedacht. Wenn er dann nicht wach ist oder wenigstens leise, schiebe ich sein Bett auf den Flur.
Eben vollendete der Sekundenzeiger die fünfte Minute. Tim richtete sich auf und knipste die Nachttischlampe an. Drüben an der Wand, in dem Bett mit der durchgelegenen Matratze fuchtelte Klößchen mit ausgestreckten Armen in der Luft herum. Die Augen waren geschlossen. Er schlief. Aber er boxte. Sein neuer Pyjama - gelb und lila gestreift -schien zu dampfen.
Tim - selbst etwas bettschwer - suchte nach einem Wurf-geschoss, entschied sich für seinen linken Turnschuh und warf zielgenau in hohem Bogen. Klatsch! Das Fußfutteral landete auf Klößchens Brust.
Ein Schrei. Klößchen schnellte in Sitzhaltung.
„Bumerangooooo", brüllte er - mit mindestens fünf Os.
Endlich klappte er die Augendeckel hoch und stierte um sich, als stecke er am Spieß.
„Heh, Häuptling! Was macht denn dein Latschen in meinem Bett?"
„Eigentlich wollte ich mit einem Skistiefel werfen, aber es war keiner zur Hand."
„Häh?"
„Du hast dich aufgeführt, als wärst du unter fünf Tonnen flüssiger Schokolade begraben. Sogar drüben im Pauker-Silo", schwindelte Tim, „hat jemand ,Ruhe!', gebrüllt. Kannst du deine Albträume nicht etwas stiller genießen?! Ein Internat ist eine Wohn-/Schlafgemeinschaft und laut Hausordnung sind nur Träume von gedämpfter bis mittlerer Lautstärke zulässig."
„Du ahnst ja nicht, was ich durchgemacht habe!"
„Ich will's auch gar nicht wissen, sondern weiter schlafen."
„Jedenfalls weiß ich jetzt, wie wir den Unbekannten nennen können. Bumerango. Mit Betonung auf dem O - capisce (ital. verstehst du?)? Wie ein Werwolf hat mich dieser Dreckskerl verfolgt, verfolgt, verfolgt. Ich bin gerannt um mein Leben. War schon ganz außer Atem. Und jeden Moment glaubte ich, dass mich von hinten der Bumerang treffen würde. An die Birne. Ins Genick. Es genügt ja schon, wenn man ihn an den Hintern kriegt. Ich hörte förmlich dieses ssssssssssss in der Luft. Zum Schluss habe ich mich platt auf den Boden geworfen, bäuchlings. Trotzdem traf mich das Wurfholz auf die Brust. Aber nee, das war ja dein Turnschuh." Klößchen holte tief Luft. „Bumerango - ist gut, ja?"
Tim gähnte. „Was soll daran gut sein? Du hast dem Gerät ein O angehängt. Außerdem sind es vermutlich mehrere Täter. Mindestens zwei."
„Mich hat nur einer verfolgt. Wären es zwei gewesen, hätten sie mich erwischt."
„Hast du wenigstens gesehen, wer's ist?" Tim grinste mühsam.
„Neiiiiin! Er war ja hinter mir, nicht vor mir. Und zum Umdrehen hatte ich einfach keine Zeit."
Tim knipste die Lampe aus. „Also, schlafen wir weiter. Du bitte traumlos. Morgen ist Freitag. In der ersten Stunde haben wir 'ne Mathe-Arbeit."
„Schreck lass nach", murmelte Klößchen. „Noch ein Albtraum. Hoffentlich kann ich neben dir sitzen bleiben. Zum Abschreiben. Sonst bin ich verratzt wie der erste Mensch."
„Ich denke mal", Tim drehte sich zum Fenster; „der konnte besser rechnen als du."
Aber das kam nicht mehr an. Leises Sägen verkündete, dass Klößchen nicht mehr unter den Zuhörern war.

Illustration von Seite 90/91.
Illustration von Seite 90/91.

Tim dachte an Gaby. Und plötzlich durchzuckte ihn die Erkenntnis: Auch sie - der Bumerang konnte auch sie treffen. Es war einfach irre, was da ein paar Irre seit Monaten abzogen. Überfälle. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Überfälle. Gleichsam überall in der Millionenstadt. In nächtlichen Straßen. Im helllichten Park. Im nahen Wald. An Sportanlagen. Der Bumerang traf seine Opfer von hinten. Viele wurden ernstlich verletzt. Viele wurden beraubt. Vielen - aber nicht allen - wurde mit schmierigem Fettstift das Wort RACHE auf den Rücken geschrieben.
Anfangs hatte die Polizei gerätselt. Welches Tatwerkzeug benutzten der oder die Täter? Dann hatte man einige Male neben den bewusstlosen Opfern einen Bumerang gefunden. Aha! Wenigstens das war nun geklärt. Denn alle Verletzungen - schmale, einkerbende Prellungen an Hinterkopf oder Nacken - konnten herrühren von diesem Wurfholz. Konnten, mussten aber nicht. Kommissar Glockner hatte Zweifel, wie Tim wusste. In seine, Glockners, Zuständigkeit fielen die Fälle. Dutzende, inzwischen. Die gefundenen Bume-rangs waren im Übrigen so glatt gewischt, so sauber wie eine frisch gewaschene Windschutzscheibe. Null Fingerabdrücke. Nicht ein einziger. Und die Ermittlungen kamen nicht voran, zumal Gabys Vater zurzeit mit 17 brisanten Ermittlungen eingedeckt war und kaum noch wusste, wo er anfangen sollte.
Bumerango?, dachte Tim. Warum nicht Bumeranga? Dann wär's eine Frau. Nee, Frauen machen so was nicht. Und überhaupt: Bevor vage Mutmaßung den Blick verstellt, werden wir erst mal richtig nachforschen. Jetzt, nachdem wir das Tal Diabolo hinter uns haben (s.h. Bd. 98), ist das die absolut richtige Aufgabe - für Gaby, Karl, Klößchen und mich.