Band 105: Gekauftes Spiel

Band 105: Gekauftes Spiel
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
20. Februar 2006
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15123-5
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Leseprobe

llustration von Seite 51.
llustration von Seite 51.

Auch heute sah der Lamia-See unheimlich aus. Das Wasser
schien schwarz zu sein.Wie die Heimstatt eines Ungeheuers,
dachte Roberto Clausen, aber hier gibt es
kein Ungeheuer. Nur diese schaurige Tiefe. 200 Meter
und mehr. Noch niemand ist bis auf den Grund getaucht.
Roberto stand am Ufer und korrigierte den Sitz seiner
Sonnenbrille. Der rechte Bügel war etwas verbogen.
Versehentlich hatte sich Roberto auf die sündhaft teure
Brille gesetzt, sich nicht erinnert, dass sie in seiner Gesäßtasche
steckte. Dumme Vergesslichkeit. Er war erst
66, aufrecht und stark wie eine Eiche, aber die Vergesslichkeit
nahm zu.
Er legte den Kopf in den Nacken. Über das weite Tal
spannte sich ein wolkenloser Sommerhimmel. Es war
heiß in Südtirol. Die sonst schneebedeckten Gipfel der
Bergriesen ringsum hatten ihre weißen Mützen abgelegt
und blickten mit schrundiggrauer Stirn herab ins Tal.
Um den mächtigen See reihte sich ein Urlaubsort an den
andern.

Illustration von Seite 90.
Illustration von Seite 90.

Roberto Clausen war der reichste Mann der Region,
seine Vorfahren hatten hier seit Jahrhunderten das
Sagen gehabt. Als letzter Nachfahre von Raubrittern
und Würdenträgern erbte er mit 32 Jahren Ländereien
und Güter, Grund und Boden zuhauf. Jetzt war er Witwer.
Gelegentlich litt er unter Gicht, weil er zu viel
Fleisch aß und Schnaps trank. Aber er hatte keine wirklichen
Sorgen, jedenfalls nichts, was er dafür hielt. Und
er hatte einen Sohn. Mario.
Hinter Robert, wo die Uferstraße Parktaschen hatte,
hielt ein Wagen. Die Reifen schmirgelten, und das klang
irgendwie rüpelhaft, denn völlig unnötig heulte der Motor
noch mal auf, bevor er sich ausruhen durfte. Jemand
stieg aus. Die Tür wurde zugeworfen, schloss aber nicht –
offenbar war der Sicherheitsgurt dazwischengeraten.
Ein Mann fluchte. Zweiter Versuch. Dann näherten sich
Schritte.
Roberto drehte sich nicht um. Er versuchte, sich zu erinnern,
wem die Stimme gehörte.
»Hallo, Clausen.«

llustration von Seite 100/101.
llustration von Seite 100/101.

Der Mann trat neben ihn. Natürlich! Der Engländer.
Aber er hatte auf Deutsch geflucht, beherrschte die
Sprache sehr gut, sogar den einheimischen Dialekt, und
Italienisch sowieso.Trotz dieser Kenntnisse sah er nicht
aus wie jemand, der mit dem Gehirn arbeitet: ein großer,
grobknochiger Vierziger mit rotblondem Haar und vielen
Sommersprossen. Sein Lächeln wirkte immer wie ein
Grinsen und durchweg gemein.
»Hallo,Wilson.«
Er hieß Edward Wilson. Vor fast genau einem Jahr
hatte ihm Roberto ein abgelegenes Grundstück verkauft.
Samt dem alten Haus aus Natursteinen, das für
ihn, Roberto, keinen Nutzen mehr hatte. Das Anwesen
lag in einem der Seitentäler, geeignet für Einsiedler, Misanthropen
(Menschenfeinde), anspruchslose Ferienhaus-
Eigentümer oder Künstler, die Ruhe brauchen.
Roberto hatte noch nicht entschieden, in welche Kategorie
Wilson gehörte.

llustration von Seite 187.
llustration von Seite 187.

»Ja, hallo!«, sagte Wilson. Er hatte eine Zigarette im
Mundwinkel. »Ihre Haushälterin sagte mir, dass Sie vermutlich
hier sind. Und siehe da! Sie sind hier.«
Roberto antwortete nicht sofort. Der Kerl war ihm
unsympathisch. »Sie wollen also zu mir.«
»Exakt.« Wilson ließ den Zigarettenrest fallen, trat
ihn aber nicht aus.
Warum habe ich dem das Grundstück verkauft?,
dachte Roberto. Natürlich weil ich’s eilig hatte. Meine
verdammte Ungeduld! Einmal beschlossen und gleich
muss es geschehen. Ich hätte warten sollen auf den
nächsten Interessenten. Der wäre bald aufgetaucht. Der
und noch andere.
»Sie fragen gar nicht, was ich will.Aber das verrate ich
Ihnen gern.« Wilsons Ton klang hämisch. »Zuerst mal
möchte ich den Kaufpreis, den ich Ihnen gezahlt habe –
die 150000 –, die Kohle will ich zurückhaben. Und noch
150000 Euro dazu. Fürs Erste. Okay?«
Roberto drehte sich etwas zur Seite und sah ihn an.
Wilson grinste. Roberto spürte, hatte es immer gespürt,
wie das Raubritterblut seiner Vorfahren auch ihn noch
durchströmte. Dazu gehörten ein hellwacher Instinkt,
Kampfbereitschaft und eine eiserne Ruhe. Deshalb reagierte
Roberto auf Wilsons Unverschämtheit mit ausdrucksloser
Miene, ohne Wimpernzucken.
Aber Roberto wusste sofort:Wilson redete nicht wirr.
Etwas stand bevor, warf dunkle Schatten voraus.Wilsons
einleitende Worte hörten sich an nach Erpressung. Es
konnte unmöglich mit dem Grundstück zusammenhängen.
Das karge Stück Land hinter dem dürren Wäldchen
barg kein Geheimnis. Oder doch?